Der unweigerliche Gang der Dinge

ClausAllgemein

Mögen wir noch so erfolgreich sein, Reichtümer anhäufen und machtvoll über anderes Leben herrschen. Breite sich der Mensch auch unersättlich weit aus, raube anderem Leben weiterhin den Raum und misshandle den Planeten. Jede einzelne Person, jede Kultur und jede Gattung, die Menschheit als solches inbegriffen, folgt dem Grundgesetz, das kein Leben verschont – dem Vergehen und unwiederbringlichen Verschwinden. Einem Baum, Fisch oder Grashüpfer ist dies egal, zumindest machen sie das zu keiner Affäre mit pathetischem Gejammere. Der Mensch jedoch sähe sich am Liebsten ewig, und kann doch froh sein, dass dieser Kelch ihm nicht zum Trunk gereicht wird. Denn wäre das so, hätte er alsbald den meisten Arten den Garaus gemacht, Mutter Erde zur Unbewohnbarkeit verunstaltet. Sehr schnell erwüchse auf schreckliche Weise aus dem Traum von Ewigkeit lebensuntaugliche Überflüssigkeit.

Was der Mensch mit der Erde anrichtet, mutet als ein Verbrechen von kosmischer Dimension an. Und er wagt es noch, Klagegesänge darüber anzustimmen, was er wissentlich und überwiegend willentlich selber verursacht hat. Gibt es etwas Verwerflicheres, als zu wissen, was man Schreckliches anrichtet und es trotzdem nicht zu lassen? Aus Trägheit, Gier oder einer letzten selbstverschuldeten Uneinsichtigkeit?

Der Natur ist dies alles letztlich egal. Sie hat Zeit und wird sich Areal um Areal zurückholen; still, aber unwiderstehlich. Jedes zerbombte Gebäude wird sie in wenigen Jahren und Jahrzehnten überwuchern; jeden Wolkenkratzer zersetzen, zermürben und von oben kollabieren lassen; jedes vermüllte Gewässer in Jahrhundertgeschwindigkeit reinigen. In Deutschland etwa, wird sich ohne gravierende menschliche Intervention nach wissenschaftlichen Berechnungen auf 90 bis 95 Prozent der Fläche Wald ausbreiten, mit einigen Mooren und Seen und mit einer entsprechenden schrittweisen Neubelebung des Tierlebens. Von den am Meeresgrund  verrostenden und verrottenden Fangflotten erlöst, werden sich zahlreiche Fischbestände erholen.

Sprechen wir doch also bitte in einer Zeit, in der Ahnungen sich ausbreiten, dass der Ast, auf dem die Menschheit sitzt, von ihr selbst bereits recht tief angesägt ist, nicht von einem Weltuntergang oder einer Apokalypse. Es ist der Lauf der Dinge, dass dort, wo das rechte Maß verloren ging bzw. leichtfertig verworfen wurde, die Ursache sich selbst zum Opfer fällt. Metamorphosen, Transformationen und neue Mutationen werden dem folgen. Die möglicherweise verbliebenen Reste der Spezies Homo Sapiens mögen das dann mit Erstaunen verfolgen dürfen.

Es wird immer ein Morgen geben – nur wer eines Tages den Sonnenaufgang bewundern darf, ist eine völlig offene Frage. Und in menschlichen Zeitdimensionen ist dies wahrlich dann nicht mehr zu messen.

Ein Horrorszenario?
Für übersentimentale Menschen vielleicht. An sich gewiss nicht. Aber anstatt von einem Szenario sollten wir wohl besser von nüchternem Realismus sprechen.

All dies ist nicht zynisch gemeint. Und dahinter steht auch keine Menschenverachtung. Das Außergewöhnliche, ja die Einzigkeit, das Wunderbare und auch die Schönheit des Menschen sind mir nun wahrlich bewusst. Um so schrecklicher ist ja die Einsicht in unser Unvermögen, was lebensdienliches Empfinden und Handeln betrifft. Dabei wäre die konviviale Potentialität unerschöpflich und die Kraft zur Umkehr in jedem von uns geradezu maßlos vorhanden. Seit Jahrtausenden weisen die Weisheitslehren auf des Menschen Defizite und zugleich Möglichkeiten hin. So viele Worte wurden in die Welt gesetzt. So viele Menschen gaben heilsames Beispiel. Selbst wertneutrale Wissenschaft sieht sich seit geraumer Zeit in die Rolle des Mahners gedrängt. Doch fortwährend wurde und wird dies alles der sogenannten Macht der „Verhältnisse“ geopfert.
Jetzt zwingen den Zauberlehrling die Wassermassen zwar wenigstens zum Erschrecken ob seiner Hybris, doch es steht kein Meister bereit, um die entfesselten Gewalten zu bändigen.

Was soll man da noch sagen? Der auch hier so oft proklamierten tätigen Hoffnung, dem großen Dennoch und dem Appell an Zuversicht in dem Prozess des Hindurch schwindet der Boden. Der aufreißende und sich ausweitende Abgrund treibt uns gleichsam vor sich her.

Und doch gibt es keine Alternative zum großen Trotzdem. Wenn schon verschwinden, dann wenigstens mit einem Rest von Selbstachtung – statt jegliche Gewissensregung lässig abweisend, fröhlich vom Traumschiff und aus dem Ferienflieger zu winken.

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Das Motiv des Fotos stammt aus einem gewaltigen Glasfenster der St. Willehad-Kirche auf Wangerooge.