Was bleibt in diesen Tagen?

ClausAllgemein

Immer mehr ist mir nach immer weniger Worten. Alles wurde schon so oft gesagt; an unterschiedlichsten Orten, durch unterschiedlichste Personen und Medien, gerichtet an unterschiedliche Zielgruppen. Und jeder Mensch, der sehen will, trägt alles in sich. Wer nicht sehen will, den erreichen auch keine Worte. Selbst nicht in diesen Zeiten. Vielleicht ja auch gerade nicht in diesen an Trauermeldungen überbordenden Zeiten. Dennoch ein erneuter Blick auf den Gang der planetaren Dinge, aus einer übergeordneten, überpersönlichen, ja evolutionären Perspektive:

Schrecklich zugerichtet kreist die blaue Perle des Sonnensystems, jenes Erde genannte Lebewesen durch den Raum. Es leidet an dem Bewohner, der sich selbst Homo Sapiens nennt, der einsichtige Mensch. Von bald acht Milliarden Exemplaren ist es befallen. Eine Milliarde, so der vertrauenswürdige Umwelt- und Klimaforscher Ernst-Ulrich von Weizsäcker, wären das angemessene Maß für ein harmonisches Miteinander der Lebensformen. Doch als sei nichts, vermehrt der Mensch sich sentimental und unbedacht weiter. Die Gründe dafür, gerade in unterschiedlichen Kulturen, sind wahrlich vielfältig. Und außer Frage: jeder Mensch bleibt ein Wunder der Evolution, und ist im selben Atemzuge doch Segen und Fluch zugleich – in einem endlichen und hochsensiblen Lebensraum.

Die Grenzen des Wachstums sind in allen Bereichen, die Liebe zum Leben ausgenommen, überschritten. Und schon längst steckt die Menschheit inmitten dessen, was man den Rückschlag des Pendels nennen kann. Sich aufbäumende Natur. Das einen Zauber darstellende Gleichgewicht unzähliger Lebenskoordinaten, welches menschliches Sein überhaupt erst ermöglichte, bewegt sich hinein in eine völlig neue Qualität. Es zerbricht auf eine Stufe, die menschliches Leben grundsätzlich in Frage stellen wird.
Zu dieser indirekten „Strategie“ der Selbstvernichtung kommen die alltäglichen direkten Formen, vor allem durch die aufziehenden Kriege der Zukunft. Einer, der sich nach aller historischen Erfahrung noch dramatisch ausweiten kann, hat gerade im Osten Europas begonnen. Eine in ihren kurz- und langfristigen Folgen irrsinnige Hochrüstung beider Kriegsparteien befeuert einen Eskalationsprozess, der das Zeug zu einem atomaren Weltenbrand in sich trägt. Und man hört: „Wir holen nur heim ins Reich, was zu uns gehört.“ Und gegenüber schallt das Echo: „Wir verteidigen nur die Freiheit und werden zurückerobern, was zu uns gehört.“ Auch nicht unbekannt: „Mit der Bergpredigt kann man halt keine Politik machen“, wie Helmut Schmidt dies bereits in den 80 er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts arrogant, ja zynisch konstatierte. Waffen und Liebe passen nun einmal nicht zusammen; genau so wenig wie eine gewollte und gepflegte Gegnerschaft und aufrichtig angestrebte Versöhnung.

Wenige Menschen nennen beim Namen, was gerade passiert. Über Vielem liegt die Etikette des Nichtansprechens und Verschweigens. Wer versucht, offen und für seine Verhältnisse ehrlich zu sein, landet schnell in einer durch die veröffentlichte Meinung stigmatisierten Ecke.

Manche Menschen lehnen sich auf gegen die Kriegsgewalt; andere für den Schutz von Umwelt und Natur; „Fridays for Future“, „Extinction Rebellion“ und die Aktivist/innen der „Letzten Generation“ seien exemplarisch genannt. Mit größtem Respekt nehme ich wahr, wofür und wie diese Liebhaber des Lebens kämpfen. Nie waren ziviles Aufbegehren und ziviler Widerstand nötiger denn jetzt. Und doch ist dies nicht der Weg für Jedermann und Jedefrau. Viele von uns suchen stille Wege, einen ihrem Wesen gemäßen stillen Aufstand. Und sie spüren durch alle Gewohnheit, manchmal Trägheit und die Fluten der Desillusionierung hindurch eine Entschiedenheit des Beginns.
Und plötzlich weißt du: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen und dem Zauber des Anfangs zu vertrauen.“ (Meister Eckhart)

Es mag an Unmöglichkeit grenzen, ein vollkommen neues, der Erde zugewandtes Leben zu beginnen. Denn letztlich verbleiben wir in dem Seins- und Energiefeld, dem wir zugewiesen sind. Aber täglich können wir einen neuen Tag beginnen, wie der Naturfreund und Prophet des zivilen Ungehorsams, Henry David Thoreau (1817-1862), es einmal sagte.
Einen Tag neu beginnen…Es scheint mir dabei um den Aufbruchsgeist zu gehen, der menschliches Leben immer wieder adelt. Gemeint ist jener Geist, der sich trotz aller Destruktion der Kairoshaltigkeit und Zeitenfülle eines jeden Moments bewusst ist. Er will uns aus der Hinnahme- und Opferhaltung in die Selbstermächtigung und Gestaltung führen. Die Bedeutung dieser Haltung wirkt energetisch auf mich selbst und zugleich doch weit über den Einzelnen hinaus. Sie ist – ob wir das wollen oder nicht, es anstreben oder nicht – immer auch ein Zeichen für andere Menschen. Dass man gehen kann, aufrecht, Dinge verändern – und scheine der einzelne Schritt auch noch so klein. Das Ziel braucht nicht sofort erkannt sein, doch die Grundenergie muss stimmen, und die unstillbare Sehnsucht nach dem Gehen muss leben.

Alles in dieser Zeit fordert den täglichen Aufbruch von uns. In Klarheit und Entschiedenheit. „Nichts ist verloren, solange einer voranstrebt“ ermutigt der wilde Heilige Aurelio Augustinus (354-430). Und dann berührt der Zauber der Umkehr und des Neubeginns. Zauber… weil aus ihm unbegrenzt Vertrauen fließt – in dich selbst, in deinen Weg und in das, was aus dem geistigen Raum heraus Führung und Begleitung anbietet. Die Grundregung des Lebens selbst steckt hinter dieser Berührung. Sie mit allen Fasern zu spüren, ist die Voraussetzung dafür, uns in die nächste evolutionäre Stufe zu bewegen, die es braucht, damit wir als Menschheit eine kleine Überlebenschance haben. Geben wir dieser Stufe den Namen „Interbeing“ – das Bewusstsein und das Empfinden der wechselseitigen Verbundenheit allen Seins.

Das also bleibt als Potentialität, ja als Versprechen für die nicht mehr bloß anthropozentrische, sondern konviviale Zukunft einer erwachten und sich selbst begrenzenden Menschheit.
Anzufangen oder weiterzugehen, brauchen weder Programm noch Zeitplan. Es gibt keine andere Zeitdimension mehr als das Jetzt, und das Programm entsteht aus der Liebe zum Leben. Ohne Wenn und ohne Aber…

Sich wie im Gleichnis Jesu als das verlorene Kind erkennen
Aus der Grube selbstverschuldeter Verworfenheit aufstehen
Den Staub eines beschädigten Lebens abschütteln

Losgehen
Das Leben umarmen
Ihm dienen
Den Engel an der Seite
Mit offenen Armen kommt dann der „Vater“ entgegen.

Das bleibt!

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