Angst

ClausAllgemein

Unweigerlich ist bei vielen Menschen die krisenhafte Zuspitzung des Gegenwärtigen nicht nur Auslöser von Sorge, sondern auch von Angst. Das mag eine allgemeine Zukunftsangst sein, Angst vor dem Verlust des Gewohnten und Vertrauten, Angst vor einem Sein, das sich in fast allen Koordinaten des Lebens als zunehmend fragil erweist. Solche Ängste hat es vermutlich schon immer gegeben. Sie führen allerdings in eine neue Qualität, wenn Menschheitsgenerationen, die in sehr weitgehender äußerer Sicherheit, sehr weitgehendem Wohlstand und einer fast schon existentiell zu nennenden Bindung an Dinge und Verdinglichungen sozialisiert worden sind, auf einmal die Erschütterungen des gesamten zivilisatorischen Fundamentes spüren. Dann stellen sich weitergehende Fragen als jene, die vielleicht mit Gesundheit, Arbeitsplatz oder Wohlstandssicherung zu tun haben. Es bricht vielleicht das große WARUM in eine Lebensillusion hinein, die auf Ordnung, Sicherheit und Bestand als vertrauter Lebensumgebung baute. Sie konnte oder wollte nicht sehen, dass Leben kontingent ist, unberechenbar, ein Fluss der Wandlungen, ein Prozess von Mutationen und Veränderungen. Und Sicherheit, Verlässlichkeit liegen genau in dieser Seinsdynamik, nicht aber im Halten und einer Verengung von Lebensperspektiven.

Deutlich dramatisierend tritt in unseren Tagen neben solche, bloß auf das Individuum bezogenen Aspekte, das Erspüren und Erkennen von etwas Grundlegenderem. Das Lebensfundament selbst steht in Frage und mit ihm die Existenzbedingungen menschlichen Seins. Du siehst Arten und Lebensformen verschwinden; die Misshandlungsspuren bei Mutter Erde lassen sich nicht mehr verstecken; die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige; eine krasse Unwirtlichkeit der Lebensbedingungen für die Kommenden liegt wie ein offenes Buch vor uns.
Aber mit nachhaltigen Konsequenzen verbundene Einsicht auf breitester Front? Wenig…
Wehklagen und Selbstmitleid? Genug…
Angst? Wohl reichlich…

Angst, die aus der Sorge resultiert, dass das Leben nach einem jahrhundertelangen
Missachten des rechten Maßes durch große Teile der Menschheit nun nach neuen Gleichgewichten sucht, ist seinswidrig. Sie richtet sich auf einen befürchteten Mangel, der doch letztlich nur der Heilung dient. Wachstumsschmerzen inbegriffen. Das Leben selbst ringt um sich und seinen Bestand, kämpft gegen das Ausbluten, dem man die Namen „Wohlstand“ und „Mehret euch“ gegeben hat. Diese Angst ist nicht nur unreflektiert. Sie grenzt an Vermessenheit, was das dahinterstehende Anspruchs- und auch Sicherheitsdenken betrifft. Sie wirkt in jeder Hinsicht destruktiv, nicht nur auf das Befinden der von ihr befallenen Menschen hin. Vielmehr führt sie in eine lähmende Schwerkraft, die der visionären Orientierung, den utopischen Entwürfen und der notwendigen Aufbruchsstimmung die Energie entzieht. So viele der schönsten Aufbrüche und ausnahmslos alle durchkämpften Revolutionen sind dieser Schwerkraft letztendlich erlegen und damit der Zerstörung ihres eigenen Impulses.

Seinsangst als Angst vor dem drohenden Nicht-Sein hängt allerdings nicht nur mit den Veränderungsprozessen in der Welt zusammen. Tief ist sie mit dem Gefühl metaphysischer Einsamkeit und letztendlicher Verlorenheit des Ich verbunden. Seinsangst macht feindselig gegenüber den eigenen Wachstumspotentialen und der Akzeptanz des Naturgesetzes, dass nur das in Bewegung und Transformation sich Befindende noch lebt. Angst, die sich am potentiellen Verlust und am eigenen Nicht-Sein orientiert, lässt erstarren. Ja sie sucht die Erstarrung, sucht die feste und vermeintlich unvergängliche Form. Aus der Zeitlichkeit und Endlichkeit kommend, will sie Zeit fixieren und bewahren und versklavt sich in der Sorge darum an die vergängliche Existenz. Als Liebe zum Leben maskiert, führt sie in eine Dynamik des Anhaftens und damit Scheiterns und schließlich in den Verlust von so Vielem, was Leben ausmacht.

Allerdings trägt diese Angst ambivalente Züge. Bei aller Destruktivität handelt es sich bei ihr auch um eine vitale Regung. Diese erschließt Welt auf ihre eigene Weise. Sie zwingt in eine Auseinandersetzung mit Endlichkeit, Vergänglichkeit und Entwicklung. Tief und schmerzhaft führt diese Auseinandersetzung in das Wesen des Lebens. Die Seinsangst widerstrebt einer alltäglichen Verharmlosung. Sie holt fortwährend in existentielle Erschütterung zurück. So macht sie das Leben spürbar, drängt es aus einer träge dahinfließenden, biederen und banalen Selbstverständlichkeit. Sie lässt jenes empfinden, was wir Schicksal nennen.

Angst in solchem Sinne verstanden, kann – wenn sie sich personal und transpersonal ausbreitet – als ein Anzeichen dafür gesehen werden, dass eine bestimmte Entwicklungsstufe von Person und von Gattung insgesamt ihre Kraft einbüßt und beginnt, sich zu erschöpfen. Zugleich gibt sie Hinweis auf sich anstauende Energien, die an ihrem Kulminationspunkt neue Wege aufzeigen können.

So geht die Angst mit auf dem Weg zum Werden, treu und verlässlich. Und so lange sie den Menschen nicht in Bann zwingt oder in seinem Urvertrauen und Zukunftsvertrauen dramatisch mindert bzw. das Erkennen und Handeln lähmt, kommt ihr sogar potentiell eine heilende Kraft zu.

Was wir an Angst, in welcher Qualität, in unserem Leben zulassen, entscheiden wir letztlich selber. Vorausgesetzt, wir gehen reflexiv und selbstreflexiv mit ihr um. Dazu gehört die Kunst, sich immer wieder, wirklich immer wieder, in eine Metaperspektive dem Leben gegenüber zu begeben und sich darin zu halten. Aus einem übergeordneten, ja evolutionären Horizont schaue ich auf das Geschehen, mich selber inbegriffen. Solche Schau holt aus der Maulwurf- und Opferperspektive. Sie führt in die zeitsouveräne Gestaltung, gleich auch, was da denn um mich herum sei. Eine kontemplative Lebenshaltung, die ihre Kraft aus der Stille, einer urgründigen Liebe zum Sein und einem darauf bezogenen Vertrauen zieht, weist und hält den Weg. Und sie trägt! Selbst dann, wenn wir meinen, dass der Boden unter unseren Füßen sich gerade auflöst.

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