Angst und Wandel

ClausAllgemein

„Es gibt keine toten Punkte, die nicht zu Wendepunkten werden können – ohne Sterben keine Auferstehung, ohne Tod kein neues Leben. Das gilt manchmal auch für unser persönliches Leben, dass manches eben vorübergeht, um Neues entstehen zu lassen.“ (Alfred Delp)

Das Gegenwärtige konfrontiert mit diffuser Gleichzeitigkeit verschiedenster existentieller Bedrohungslagen. Krieg, gleich nebenan, mit außerordentlichem Eskalationspotential; gewandelte klimatische Bedingungen, die das vertraute, ausgewogene jahreszeitliche Spiel der Wetterwechsel außer Kraft setzen; das Verschwinden von Lebensformen, die dem Planeten seine Anmut und seinen Zauber gaben.

Dieses Gegenwärtige erlaubt keinerlei Kalkül mehr, was das Hineinwachsen ins Zukünftige betrifft. Neben Erschütterung und Unsicherheit bringt es auch Angst hervor. Menschen sehen sich ob so mancher Infragestellungen selber mit ihren Lebensentwürfen infrage gestellt. Sie spüren das beginnende Verwehen dessen, was ob so langer Gewöhnung vertraut wurde und Sicherheit zu geben schien. Lassen sie diese Angst vielleicht auch nicht hinsichtlich ihres eigenen Lebens an sich heran, so doch für jene, die sie lieben und sich in Verantwortung fühlen – vor allem für die Kinder und Enkel und deren Zukunft.

Angst lähmt. Sie sucht die feste und vermeintlich unvergängliche Form; sie setzt jene Gelassenheit und Überblicksruhe außer Kraft, die wir gerade in Zeiten benötigen, in denen etwas auf uns zudrängt, das wir als Schrecken und Verhängnis identifizieren. Dann kann Angst erst Recht zum Opfer machen. Narkotisiert sie doch jene Erkenntniskraft, die trotz aller Bedrängnis das Ursächliche dafür und die eigenen Anteile daran durchscheinen lassen will. Sie verklebt den Zugang zu einer evolutionären Perspektive, die sich der Verfangenheit im Labyrinth des Gegenwärtigen entgegenstellt.  

Was sich einigermaßen absehbar in naher Zukunft ereignen wird, trägt alles in sich, die Welt für viele Jahrzehnte, ja Generationen zu prägen. Anderes ist dann gefordert als die klammernde Hoffnung auf einen Bestand bzw. die Renaissance sogenannter Normalität. Nur denjenigen wird Zukunft ein Licht sein, die im Umbruch, ja in Chaos und Zerfall, ihre Visionskraft ganz auf das Neue richten und darin die Konturen einer grundlegend sich wandelnden Welt erkennen. Und die beginnen alles zu tun, diese Welt zu ermöglichen.

Was für ein Wert liegt denn etwa darin, aus Angst vor Veränderung weiterhin ein politisches und ökonomisches Denken zu akzeptieren und zu respektieren, das die rasende Zerstörung der Welt nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern das auch noch als „Fortschritt“ und „Erfolg“ feiert. Selbst grüne Wirtschaftsminister weisen heute mit Stolz und einem Lächeln auf wieder steigende Wachstumserwartungen hin. Das Virus von Machtansprüchen und Ausübung von Macht, in Verbindung mit der normativen Kraft des Faktischen und des Gewohnten scheint jedes Immunsystem politischer Redlichkeit und Fürsorge zu durchdringen.

An dieser Stelle kultureller Irritation kommt wieder die Angst der Menschen ins Spiel. Sie klammert sich an vorgebliche Sicherheiten, dämpft visionäre Vorstellungskraft und leistet so ihren Beitrag, eine vernichtende Wirtschaftsweise künstlich am Leben zu erhalten. Was wäre das für eine Energie, wenn Menschen jeden Alters und jeden Status‘ sich ohne Wenn und Aber in ihrem Alltagshandeln hinter der Vision für eine lebenswerte Erde zusammenfinden würden. Dieser Menschheitstraum liegt doch vor uns wie ein offenes Buch! Und er wird genährt durch die Sehnsucht nach einer Welt, die auf Heilung wartet.

Neben ihrer lähmenden Seite hat sich ausbreitende Angst jedoch auch etwas Prophetisches. Sie kann als Anzeichen und Vorbote dafür gesehen werden, dass eine bestimmte Entwicklungsstufe begonnen hat, ihre Kraft einzubüßen. Sie wird dann zum Indikator für sich anstauende Energien, die am Kulminationspunkt der Verunsicherung ihren Beitrag leisten werden, neue Wege zu zeigen und sie freizulegen.

Angst in diesem Sinne, geht treu und verlässlich mit auf dem Weg zum Werden. Und so lange wir uns von ihr nicht in Bann zwingen lassen oder sie uns im Urvertrauen und Zukunftsvertrauen dramatisch mindert, kommt ihr als ein besonderes Auge der Erkenntnis potentiell sogar eine heilende Kraft zu.

Manchmal will Angst, auch wenn wir ihr eine im Letzten unüberwindbare Selbstverständlichkeit attestieren müssen, „einfach“ nur genau angeschaut und vor sich selber und manchmal auch vor anderen offen angesprochen werden. Bereits das führt sie in eine Wandlung. Erst wenn wir sie in ihrem Anliegen verstanden haben, ja ihr Respekt gegenüberbringen, lässt sie sich mit einer Blickweise konfrontieren, die auf Beruhigung und innere Öffnung zielt. Dann vermag der Mensch sich aus ihrer Düsternis einem Licht zuzuwenden, wie es etwa aus der Hymne „Patmos“ von Hölderlin strahlt:
 
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“

Solcher Sonne ins Gesicht zu schauen, hält die Schatten hinter uns. Das stiftet Aufbruch nicht nur für uns als Personen. Es ist die Basis dafür, dass zur rechten Zeit eine neue Weltordnung entstehen kann. In der Mischung aus tätiger Hoffnung, Liebe zum Leben und einem tiefen Vertrauen in die sichtbaren und unsichtbaren Kräfte der sichtbaren und unsichtbaren Welt.

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