Prometheische Wandlung

ClausAllgemein

Die freundschaftliche und fürsorgliche Zuwendung zum Menschen war mit einem hohen Preis verbunden. Nachdem er dem Sonnengott Helios Feuer gestohlen und es wider den Willen des Göttervaters den Menschen gebracht hatte, ließ der erzürnte Zeus Prometheus, Sohn der Titanen, an eine Felswand im Kaukasus ketten. Täglich kam ein Adler geflogen, der ihm die stets nachwachsende Leber aus dem Leibe biss. Erst ferne Zeiten später befreite ihn Herakles und tötete den Adler mit einem Pfeil.

Der griechischen Mythologie zufolge verdanken die Menschen Prometheus, dem Vorausdenkenden, nicht nur den Zugriff auf das Feuer, sondern ihre gesamte Existenz. Mit Unterstützung der Weisheitsgöttin Athene formte er sie aus Ton, hauchte ihnen das Leben ein, gab ihnen Verstand und versah sie mit den unterschiedlichsten Eigenschaften und Fähigkeiten – dem Fundament für Entwicklung und Kultur.

Im übertragenen Sinne steht Prometheus für den Archetypus des Rebellen, des vorwärtsstrebenden Geistes, immer den Fortschritt im Auge. Johann Wolfgang von Goethe verherrlichte ihn in einer Ode als revolutionären Geist. Wider die Götter der Beharrung handelt dieser, wider ihre Verteidigung von Privilegien, wider Autorität. Das Prometheus-Wesen steht für technisch-naturwissenschaftliche Schöpferkraft; es setzt sich keine Grenzen.

Doch das Verlangen und Bestreben, stetig über Erreichtes noch hinauszugreifen, ungebremst voran zu stürmen, bringt Schattenseiten hervor. Die unterwerfende, empathielose Herrschaft über die Natur und das Leben sind hier zuvorderst zu nennen. Und neben dem Pflug dient das Feuer schließlich auch dem Schmieden des Schwertes.

Der prometheische Geist hat das Schicksal des Menschen weitgehend in die eigenen Hände genommen. So baut sich, gerade heute, die Frage immer mächtiger im Raume auf, inwieweit die entfesselten Kräfte – auf allen Ebenen menschlichen Wirkens – noch dem Ausgangsgedanken der Menschenliebe entsprechen. So gut wie Alles, was zunächst der Lebenserleichterung diente, kehrte im Laufe seiner Verbreitung die Kehrseite nach vorne. Sei es die Mobilität, die apparatisierte Medizin, die Versorgung mit Energie, die technische Kommunikation oder das Herumpanschen mit dem menschlichen Erbgut. Angesichts solcher Entwicklung riet der Biochemiker Erwin Chargaff (1905- 2002) bereits in seinem 1989 erschienenen Buch „Das Feuer des Heraklit“ dazu, Prometheus auf „Halbration“ zu setzen. Am Grundgeist allerdings würde das wohl wenig ändern.

Immer im Hintergrund von Prometheus lebt quasi unerkannt sein Bruder Epimetheus, der Nachdenkliche. Die Besinnung, vielleicht auch Zögerlichkeit, zeichnet ihn aus, die Orientierung an Tradition, das Lernen aus der Vergangenheit. Er repräsentiert somit jene Tugenden, die es neu zu verstehen und in kulturelle Praxis zu verwandeln gilt. Mit Selbstbegrenzung ließe sich das umschreiben und vor allem mit Konvivialität, Lebensdienlichkeit. In diese (selbst)reflexive Orientierung hinein könnte auch das Prometheische sich dann neu entwerfen, einen Aufbruchsgeist für ein gewandeltes Lebens- und Kulturverständnis entwickeln. Es verzichtet nicht auf Innovation, nur, diese würde als soziale, kunstfertige, ja künstlerische, vor allem aber als naturbezogene anders gerichtet. Technologie müsste sich in der Folge grundlegend daran messen lassen, wie sie dem Leben, nicht nur dem menschlichen dient, wie sie es schützt, bewahrt und seine Potentiale befreit.

Zurück zum Mythos.

Um Prometheus und vor allem die Menschen zu strafen, schenkte Zeus der schönen, verführerischen, unheilvollen Pandora eine Dose, in welche die Gottheiten Übel und Gebrechen gelegt hatten. Pandora gab sie an ihren Ehemann Epimetheus weiter, der sie trotz der Warnung des vorausschauenden Bruders Prometheus öffnete. So überzogen Tod, Krankheit und Laster das Menschengeschlecht. Sie beendeten das Goldene Zeitalter. Nur etwas konnte der Dose, bevor sie wieder geschlossen wurde, nicht entkommen – die Hoffnung. Sie wartet seitdem auf ihre Befreiung. Gewarnt sei jedoch vor falscher Deutung. Bloße, billige Vertröstungs-Hoffnung verhindert kein Übel, weist keinen Weg der Rettung. Tätig will sie sein, setzt vor das mögliche Heil die Bringschuld, Entschlossenheit und Tatkraft des Menschen. Dann, so können wir uns vorstellen, wird ein neu erwachter Prometheus der Menschheit die erforderliche Wandlungsenergie einhauchen. Vielleicht ja wieder mit der Weisheitslehrerin Athene an seiner Seite. Sollen die Götter destruktiver Beharrung sich dann ruhig neues Unheil ausdenken. Der tätigen Hoffnung ist es eigen, niemals aufzugeben, immer einen Streifen am Horizont und ein kleines Fenster des Wunderbaren offen zu halten. Bis die Übel zwar nicht besiegt, aber doch in einem Gleichgewicht mit dem Rettenden und Heilenden gehalten werden.

Illustration: Jan Rieckhoff
http://www.illurieckhoff.de

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