Allmacht und Ohnmacht. Vorläufige Gedanken vor Ostern

ClausAllgemein

Sich selbst zum Bilde schuf der Mensch die Gottheit, nach seiner Vorstellung entwarf er sie…

Was Liebe, Zuwendung, Heilung, Bewahrung und Ermöglichung auf der einen und willentlichen Hass, willentliche Vernichtung und willentliches Böses auf der anderen Seite betrifft, lebt die Welt in Spaltung. Sie ist von einem unüberbrückbar scheinenden Riss, der jederzeit und überall aufbrechen kann, durchzogen. Daran ändert auch keine Beschwörung eines Eins- und Verbundenseins etwas. Einssein ist ein Hintergrundimpuls, der allem Werden und Vergehen als Ausgangspunkt diente und in dem alles auf Ewigkeit ruht. Aber es hebt manche gewordene Trennung nicht auf und heilt bzw. überwindet nicht alles, was durch intendierte Gewalt zerrissen wurde. Allerdings scheint darauf bezogen eine Unterscheidung bzw. Klärung wichtig.

Kosmisches Einssein ist wertneutral. Es umfasst die unermessliche Liebe genau so wie den apokalyptischen Meteoriteneinschlag, das vernichtende Erdbeben und Auschwitz. Gut und Böse sind keine wesenhaften Kategorien. So gesehen gibt es auch keine Spaltung. Diese tritt erst mit dem menschlichen Bewusstsein und dessen Wertungen dem Leben gegenüber in die Existenz. Wertung wiederum bedarf für den Menschen eines Maßstabes. „Gott“ ist dafür ein Name. Und darauf hin kommt es dann zu Projektionen, wenn auf der Ebene von Wertungen Ungleichgewichte gesehen werden bzw. sich etwas ereignet, was wir Verhängnis nennen. Dann bauen sich verzweifelt Fragen nach der richtenden Instanz und in der Folge der Allmacht auf: Ist das Göttliche nicht allmächtig, wo in ihm doch alles ruht? Wie kann es dann Dieses und Jenes zulassen? Warum interveniert es nicht, obwohl wir doch so flehen?

Der Schöpfungsgeist, der, wie geschrieben steht, einst über den Wassern schwebte, und jenes, was wir die göttliche Liebe nennen, sind nicht zu vereinbaren mit dem menschlichen Bösen und dem gewollten Vernichtungsdrang. „Gott“ konnte in Auschwitz nicht eingreifen, weil er es nicht vermochte. „Gott“, als Schöpfungsliebe gedacht, und die Erscheinungsformen des Bösen gehen nicht zusammen, auch wenn sie letztlich demselben Urimpuls entstammen. Im Prozess der geistigen Evolution bildete sich das intendierte Böse heraus und erfuhr so etwas wie eine Verselbständigung als „Widersacher“-Existenz.

In der Folge findet beim Selektionsprozess an der Rampe von Auschwitz die kosmische Liebe keinen Zutritt mehr. Dem Herz des sadistischen Killers, der aus Lust tötet, bleibt die Annäherung liebender Regung verwehrt. Und die Erdbeben- und Tsunami-Massaker wiederum ereignen sich aus naturgesetzlicher Notwendigkeit, die nicht von dem, was wir den Schöpfungsimpuls nennen, außer Kraft gesetzt werden kann – gehen sie doch auf ihn zurück.

Auch wenn die Schreie aus Verzweiflung so gut nachzuvollziehen sind. Es sollten andere Rufe im Angesicht ertrinkender Flüchtlinge und verhungernder Kinder oder marodierender Soldatenhorden angestimmt werden, als die nach der Allmacht Gottes. Der „Herr der Heerscharen“ ist kein siegender Kriegsgott, kein weißer Ritter mit dem Schwert Excalibur. Es ist ein Werde-, ein Zuwendungs- und Liebesimpuls, der gesucht und dann weiterverbreitet werden will.

Das Christus-Ereignis in seiner Außerordentlichkeit kann verstanden werden als Versuch, die Spaltung zu überwinden und eine neue Einheit herzustellen – durch den Einbruch des „Himmlischen“ in das „Irdische“ und seine Verkörperung in einem Menschen. Es dient unserer Erinnerung an das Ewige, Liebende und Heilige, das in jedem Menschen potentiell wachgerufen werden kann, wenn er sich seines Wesensgrundes besinnt. Damit ist alles gegeben! Der „Rest“ liegt in menschlicher Verfügung. Er wird nicht bereitet durch eine allmächtige Instanz.

Wiederkehrend drängt der Auftrag, Allmacht neu zu denken, nämlich endlich jesuanisch. Wir haben es in diesem Sinne dann einerseits mit einer gewissen Ohnmacht gegenüber destruktiver weltlicher Macht zu tun, die in der Passion endet. Zugleich aber wird Zeichen gegeben für die Allmacht der Liebe, wenn Menschen diese zulassen. Siegen durch Güte, Siegen durch Vergebung, Siegen durch Hingabe – wie das Wasser, das mit der Zeit selbst den harten und scharfen Stein abzuschleifen und zu runden vermag.

Die Logik der Liebe lehrt, dass Frieden immer nur durch Frieden erlangt werden kann, Gerechtigkeit nur durch Gerechtigkeit. Das ist die uns zugewiesene Rolle: Liebe, Schutz und Fürsorge in die Welt zu bringen, auch wenn es weiter schutzlose Bereiche und unbegreifliches Ausgeliefertsein geben wird. Selbst himmelschreiendes Unrecht auf der Welt darf dieses Rollenverständnis nicht außer Kraft setzen, sonst landen wir, wie fast immer in der Geschichte, unweigerlich bei dem als Methode, wogegen die Liebe doch aufbegehrt. Man nennt das dann „Gerechten Krieg“ „Heiligen Krieg“ und die Schlächter „Gotteskrieger“.

Ist dies das Ende von bittender Anrufung und Gebet und einer Hoffnung, die sich aus anderer Dimension nährt als der rein menschlichen?

Mitnichten. Aber vielleicht sollte stärker bewusst sein, dass Anrufung, Gebet und Hoffnung sich an eine andere Wirklichkeit richten als die uns begegnende äußere Welt. Denn diese hat ihre eigenen, vom Menschen gemachten Gesetze, welche auch nur von ihm gestaltet werden können.
Dass eine nach unseren Bedürfnissen konstruierte allmächtige Gottheit, jenseits des Schöpfungsurgrunds nicht existiert, heißt selbstredend nicht, dass es kein Absolutes und keine geistigen Mächte gäbe. Aber diese wirken eben auf der Ebene des Geistigen, der Berührung im und durch den Geist und durch das, was er zeichenhaft verursacht. Resonanzfähigkeit und Resonanzbereitschaft sind für entsprechendes Erkennen die Voraussetzung. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft, die Geister zu unterscheiden.
Geistig geführt, entscheidet der Mensch an der Rampe von Auschwitz über sofortigen Tod oder Arbeit als Vernichtung. Geistig geführt, löst der Pilot über Hiroshima die atomare Bombe. Geistig geführt, gibt Mutter Theresa ihr Leben für Arme und Kranke. Geistig geführt, geht Jesus seinen Weg der Heilung, der Passion und der „Auferstehung“.

Wes Geistes Kind also bist Du, Mensch? Was lässt Du zu? Worauf richtest Du dich aus?

Die sehnsuchtsvolle innere Zuwendung zum Gottesimpuls der Schöpfungsliebe reicht. Deren Allmacht wirkt, wenn auch oft mit langsam mahlenden Mühlen und mit dem Menschen auch selber als Träger. Darin liegt und zeigt sich ihre Wahrheit. Sie trägt. Durch alle Ohnmacht und jegliches Karfreitagsgeschehen hindurch. Zu dem hin, was wir Ostern nennen. Es ist die Quelle, die jederzeit inmitten der Wüste zum Licht hervorbrechen kann. Wenn das Herz bereitet und die Sinne empfänglich sind.

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