In den trinitarischen Fundamenten öffnen sich geistig-spirituelle Grundorientierungen, die zugleich explizit und implizit auf das überzeitliche Ethos verweisen. Beide fordern lebenspraktische Umsetzung bzw. Verwirklichung ein, damit das große Ideal nicht als bloße Idee verkümmert. Die klassischen Mönchsorden gaben sich dafür eine verbindliche Regel mit den Eckwerten ‚Armut‘, ‚Keuschheit‘ und ‚Gehorsam‘. Jenseits der alten und leicht misszuverstehenden Sprache ruht in diesen Gelübden, die auch ‚Evangelische Räte‘ genannt werden, doch eine tiefe Wahrheit. Sie ist es Wert, angemessen in die Gegenwart transformiert zu werden, offen für jeden Menschen.
Einfachheit, Geist des Nichtverletzens, Gewissensorientierung
Einfachheit wird hier zum Fundament. Ein einfacher Lebensstil ist die Antwort des einzelnen Menschen auf die Perversionen einer Haben- und Konsumkultur. Er repräsentiert kein asketisches Verzichtsideal, will nicht an der Schönheit und der Ästhetik des Seins sparen. Vielmehr steht er für das angemessene Maß in allen Dingen. Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit treten an die Stelle der Jagd nach immer mehr.
Einfachheit öffnet den Raum für die Besinnung auf das Wesentliche. Die Lebensimpulse auf den verschiedenen Seinsebenen bewegen dann den Menschen und nicht die Verdinglichungen, nicht die austauschbare Medien- und Warenästhetik und nicht die Magie des Geldes. Auf das zu verzichten, was es zu einem Leben in Würde nicht braucht, befreit. Und diese Befreiung benötigt wenig Voraussetzungen. Wer sie sucht, kann sie in jeder Lebenssituation, jeder Lebensphase und auf jedem sozialen und kulturellen Niveau erringen.
Einfachheit ist eine Lebenshaltung, und sie lässt sich entsprechend nicht abstrakt und von außen bestimmen. Sie will konkret persönlich, entsprechend der jeweiligen Lebensbedingungen, erspürt werden. Doch dieser persönliche Spielraum ist kein Attest für Beliebigkeit. Nehmen wir das Beispiel Geld. Es zu haben, ist kein Makel. Aber seine wesentliche Aufgabe liegt darin, lebensdienlich zu wirken und nicht Ausbeutungsprozesse bei Mensch und Natur direkt oder indirekt zu unterstützen.
Als Haltung unserem Leben und dem Sein an sich gegenüber, hat Einfachheit auch eine innere Seite. Diese erstrahlt, wenn wir in unserer Mitte ruhen und uns von hier dem Leben wahrnehmend und gestaltend öffnen. Überflüssiges bleibt auf der Strecke, das Staunen über die Schönheit und das Wunder der Schöpfung erwacht fortwährend neu. Wir atmen den Reichtum puren Seins. Vielleicht war es ja das, die Fähigkeit einfach zu sein und unbefangen zu staunen, die Jesus meinte, als er davon sprach, zu werden wie die Kinder.
Der Geist des Nichtverletzens ist die wohl höchste und edelste Form der Keuschheit. Denn in diesem Geist versagt sich der Mensch Grenzüberschreitung gegenüber anderem, nicht nur menschlichem Leben. Dies bezieht sowohl die direkte Begegnung wie auch die indirekten Folgen seines Tuns, etwa durch Konsum, mit ein.
Wie sehr Gewalthaftigkeit das Leben auf Erden prägt, ist allenthalben spürbar. Der Planet ist bedeckt mit einer Blutspur menschlicher Opfer, wie viel mehr aber auch derer aus dem Reich der Tiere und der Pflanzen. Das Maß an Gewalt folgt wie alles dem Gesetz der Resonanz. Gewalt ruft permanent neue Gewalt hervor. Bleiben Denken und Empfinden gewalthaft, werden auch die Taten gewalthaft sein. Entsprechend beginnt Wandlung in unserem Geist. Mit dessen Veränderung verändert sich auch die Wahrnehmung der Welt. Nehme ich sie nicht mehr als grundsätzlich bedrohlich wahr, weil ich mich nicht abgrenzen, nichts verteidigen und nichts kontrollieren muss, dann kann ich auch meine inneren Widerstände und meine Angriffs- und Abwehrgedanken beiseitelegen. So beginnen sich durch einen einzelnen Menschen die Ursachen für Gewalthaftigkeit zu verändern. Sowohl in der Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, wie sie Albert Schweitzer entwickelte und verkörperte, als auch in dem Konzept der Gewaltlosigkeit, wie Mahatma Gandhi es lehrte und lebte, finden sich hierfür Ausgangspunkte. Beide lassen sich in einer Haltung integrieren, die Geist des Nichtverletzens genannt werden kann. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ findet hierin seine entscheidende Erweiterung. Wir betreten damit den Boden einer universalen Ethik und zugleich einer ins Grenzenlose erweiterten Verantwortung. Sie beruht darauf, dem Leben an sich teilhaftig zu werden, es mitzuerleben und es, wo immer möglich, zu erhalten und zu pflegen.
Es mag an dieser Stelle eingewendet werden, dass Leben doch nun einmal von anderem Leben lebt und wir dem, was Schweitzer Selbstentzweiung nannte, nicht entrinnen können. Gewiss. Und so meint, im Geist des Nichtverletzens unterwegs zu sein, Leben nicht willentlich und wissentlich zu schädigen, zu vernichten oder an seiner Entfaltung zu hindern.
Geist des Nichtverletzens – harmlos und defensiv klingt diese Lebenshaltung im ersten Hören. Weitergedacht jedoch werden die Zumutungen deutlich, mit denen wir uns konfrontiert sehen, vor allem was das Loslassen, das Seinlassen und das Aufgeben von Optionen, über die wir an sich verfügen, anbelangt. Der Geist des Nichtverletzens mutiert so zum radikalen Wagnis und einer Empfindungsund Entscheidungsqualität, die nur mit der ganzen und eins gewordenen Seele erreicht werden kann.
Gewissensorientierung folgt einem höheren Verständnis von Gehorsam. Denn das Gewissen ist die letzte Instanz für die Denk- und Handlungsorientierung des Menschen und damit auch für das angewandte Ethos. Gleichwohl bedarf es der Pflege, um nicht doch Irrtümern, Täuschungen und Bedürfnissen zu erliegen, welche in die Empfindung jenes guten Gewissens führen, von dem Albert Schweitzer sagte, dass es des Teufels sei. Und so unterliegt die Gewissensorientierung nicht nur einer außerordentlichen Selbstehrlichkeit, sondern auch der Notwendigkeit, die Geister in Prüfung und Gegenprüfung zu unterscheiden. Geradezu existentiell dafür ist kultivierte Empfindungsfähigkeit, eine Empathie mit den Lebensprozessen. Achtsam sein und sich entsprechend bewegen; Hören, auch auf das, was sich in der Stille ausdrücken möchte; jenem „Höheren“ folgen, das in der Wolke des Nichtwissens verborgen liegt und das uns zu unserer eigentlichen Größe führen will.
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