Wächter des Unsichtbaren

ClausAllgemein

Es muss sie geben, die, mit der Verbindung zu jener Welt, die nicht mit den äußeren Sinnen wahrnehmbar ist; zu jener Dimension, von der die heiligen Schriften sprechen, die Engel künden und die Kinder manchmal träumen. Sie halten das Unsichtbare im Bewusstsein und in der Erinnerung, schützen es aber zugleich vor dem törichten Gerede. Sie verkörpern einen Schutzwall für das Unsagbare, damit es nicht, wie ansonsten doch fast alles, entwürdigt und mit empfindungsloser Sprache zertrampelt wird.

Sicher, das Numinose, das Geheimnisvolle, entzieht sich aus sich heraus sowohl dem kalten Blick analytischer Durchdringung und Entkleidung als auch dem verklärenden Singsang esoterischer Geschäftsmodelle, die viel beschwören, aber wenig verstanden haben. Doch sich zu entziehen, heißt ja nicht, aus der Existenz zu treten. Igelt eine Kultur sich allerdings vollständig in ihrer Äußerlichkeit und einer entsprechenden exklusiven Weltbehauptung ein, fällt alles Verborgene irgendwann aus dem Rahmen des noch Vorstellbaren. Und damit verkümmert auch der Mensch als transzendentes Möglichkeitswesen. Es bleiben eine diffuse, ab und an aufscheinende Andersweltahnung und vielleicht eine darauf bezogene Neu-Gier. Dieser begegnet man dann wiederum durch Veräußerlichung, etwa durch den pathetisch vorgetragenen Schein äußerer Gesten, durch Symbole oder Gegenstände, die den Besitz dessen reklamieren, was man nicht haben kann.

Um vor solchen Zugriffsversuchen und der damit verbundenen Aufdringlichkeit zu schützen, muss es sie geben, die Wächter des Verborgenen, die alles zurückweisen, was nicht aus tiefer Sehnsucht nach dem Absoluten, darauf bezogener Beharrlichkeit und Demut geformt ist. Sie schützen den Raum, der für die menschliche Wahrnehmung nur in seltenen Ausnahmen und dann auch nur momenthaft zugänglich ist – wie ein Blitz, der, noch nicht recht erschienen, schon wieder aus der Wahrnehmung entschwindet und sich doch tief in das Erfahrungswissen eingebrannt hat.

Es sind die „Engel“ genannten Energieformen, die für diese Aufgabe stehen. Doch wer kennt noch das Engelhafte, wer spürt sie noch, die Zwischenwesen und Boten aus einer anderen Dimension? Wer nimmt ihre sich ständig wandelnde und zugleich radikal intervenierende Weise dessen wahr, was mit „Kommunikation“ nur unzureichend umschrieben werden kann? Wer liest und versteht die Zeichen?

An ihrer Seite braucht es deshalb Menschen, die, selber sinnlich wahrnehmbar, dem Übersinnlichen den Raum halten und es zugleich vor den Turbulenzen des Marktplatzes schützen. Wir übersehen zu oft, dass jenes den Augen Verborgene über das Wohl und Wehe von Person und Menschheit entscheidet, so, wie es das schon seit je tut. Nicht als ein sogenanntes göttliches Gericht. Sondern als die in jedem wahrhaft suchenden Menschen ruhende letzte Einsicht und radikale Selbsterkenntnis. Sie geht jeder höheren Entwicklung voraus. Und der Prozess dorthin, sich selber demaskiert zu sehen, ist schmerzhaft. Nichts Äußerliches hilft dabei, und er kann nicht von Außen vermittelt werden, folgt keiner Lehre und keiner Anweisung. Man muss ihn vom Herzen her wollen, ihn konsequent „suchen“ und dabei verstehen lernen, dass diese Suchbewegung identisch mit dem Finden ist. Auch Finden versteht sich so als Prozess. Es wartet nicht irgendwo ein „Gral“ oder eine ultimative „Erleuchtung“.
Stille und Sensibilisierung der Wahrnehmung öffnen das Tor für diesen Weg. Sie lenken die Schritte über die Grenze. Selbstzurücknahme und Absichtslosigkeit halten in der Spur. Bis der Mensch erfährt, dass das sogenannte Verborgene Teil seines Wesens ist, er schon immer darin lebt.

„Die zur Wahrheit wandern, wandern allein, keiner kann dem andern Wegbruder sein…“
(Christian Morgenstern)

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