So außerordentlich viel zerrt am gegenwärtigen Menschen und zieht das Bewusstsein zu sich: Klima, Kriege, Umwelt, Ökonomie, soziale Verwerfungen, die digitalen Bewusstseinsmaschinen… Unausweichlich wartet die Klärung, wo ich selber stehe in dieser Gleichzeitigkeit von so völlig Unterschiedlichem, das als ähnlich nur in seiner Bedrohung wahrgenommen wird.
Wie dann klarkommen mit einer Kultur, in der so vieles, das vertraut, sicher und beständig schien, erodiert und sich dann auflöst? Wie klarkommen mit der Einsicht, dass diese Zivilisationsstufe gescheitert ist? Wie klarkommen damit, dass dies nicht nur das gesellschaftliche Außen, sondern auch die eigenen Lebensweltperspektiven im Kern ihres Selbstverständnisses erschüttert? Wo liegen Kraft und Orientierung, wo findet sich Besinnung und Ruhe im Zentrum des Taifuns?
Hermann Hesse lässt in seinem „Glasperlenspiel“ den alten Magister zum späteren Nachfolger sagen:
„Je mehr wir von uns verlangen, oder je mehr unsere jeweilige Aufgabe von uns verlangt, desto mehr sind wir auf die Kraftquelle der Meditation angewiesen, auf die immer erneute Versöhnung von Geist und Seele.“
Dies gilt in diesen Tagen mehr denn je, sollte nicht nur wohlbekannt, sondern auch wohl vertraut sein! Da dem aber selten so ist, lohnt vielleicht doch die Frage, was Meditation und was Versöhnung von Geist und Seele eigentlich meinen.
Es lassen sich verschiedene Stufen des Meditativen beobachten. Sie reichen von der gegenständlichen bzw. auf einen „Gegenstand“ (z.B. Text, Bild oder auch konventionelles Gebet) bezogenen Form bis hin zur wort- und gedankenlosen Stille. Das sind keine Widersprüche, sondern Pole in einem fließenden, von der jeweiligen Lebenssituation beeinflussten Kontinuum. Darin ist zunächst alles gut, was zur Besinnung führt und einem Durchbrechen des Getriebes und des Getriebenseins. Gleichwohl gilt es die Unterschiede anzuschauen. Das eher Gegenständliche vermag es, die Gedanken zu zentrieren und auszurichten, sie gleichsam mit dem Meditierten zu verschmelzen. Das ist kostbar. Aber darüberhinaus braucht es die Reinigung der Gedankenwelten selbst, ja das Loslassen der Bewusstseinsmuster und das Heraustreten aus den sich endlos wiederholenden Schleifen des Geistes. Wahrlich nicht leicht, gelingt dies ohne Übung selten. Aber selbst dann scheint es mir schon ein außerordentlicher Schritt zu sein, die eigene Verfangenheit zu erkennen und damit die Blockaden, die vor einer unbefangenen, ja hin und wieder sogar unschuldigen Blickweise und Analyse stehen. Auch ist es durchaus hilfreich, Beides zu verbinden: das Erkennen und das Verstehen als ersten Schritt und dann, gleichsam gedanklich entlastet, das Eintauchen in die gegenstandslose Stille. Diese wird so tiefer erlebbar als der unmittelbare, unvorbereitete Versuch, den Geist zu beruhigen.
Auch wenn es viel Nachsicht mit sich selbst auf diesem Weg braucht, bleibt entscheidend, was der Magister anmahnte und was wir für uns so übersetzen können: Gerade dann, wenn du meinst, keine Zeit für die Besinnung zu haben, ist sie am Wichtigsten. Und sei es nur eine kurze Weile lang, um einen neuen Blick auf die Situation, auf die Welt und auf dich selber zu ermöglichen, damit wir nicht das Gesamte, dessen Teil wir sind, aus den Augen und aus dem Herzen verlieren.
Die aus der Meditation hervorgehende Haltung meint keine erhabene Gleichgültigkeit, aber vielleicht jene Gelassenheit und auch jenes Ruhen in uns, das handlungsfähig hält – nicht als Gelenkter, sondern als Lenker, nicht als Opfer, sondern als Gestalterin. Die Perspektive ist nun eine des Innen, des Seelenhorizonts, aber auch das, was Metaperspektive genannt wird, das unverfangene, nüchtern Betrachtende. Aus der Stille heraus ziehen alle Dinge vorbei, zeigt sich das Geschehen in einem infiniten Wandel. Dieses Erkennen, das ausnahmslos nichts unberührt lässt, stärkt die Haltung des Hindurch. Es hält aufrecht auf dem Lebensweg; Trauer, Freude, Sehnsucht und Erfüllung inbegriffen.
So sammelt sich das Wesen, führt sich zu sich selber und formt die versöhnte Gestalt der Personalität. Das nimmt nicht die Kriege aus der Welt, löscht nicht die Brände auf der Erde, beseitig kein Unrecht. Aber es führt fortwährend neu dazu, dass wir davon nicht absorbiert und gemindert werden; dass dem Lebensblick nie die Schönheit verloren geht, die der Reigen des Seins in alles miteingewoben hat. Die Blume am Wegesrand blüht auch dann, wenn Trauer und Entsetzen sich über das Land legen.
Die Stille als Praxis der Meditation und der kontemplativen Weltzuwendung wird manchmal zur höchsten Form des Tuns. Ihr „Klang“ lassen das Ego, lassen die Lebensillusionen, aber auch die Seins-Verunsicherung, ja Seins-Angst in den Hintergrund treten. Aus der Stille heraus spricht ein „Ja“, spricht die Zustimmung zum Sein und zu der Einheit des Menschen als immanentem und transzendentem Wesen. So versöhnen sich dann Geist und Seele und damit das, was größer ist als der Mensch selber. Denn die Seele lebt nicht nur im Menschen, der Mensch lebt auch in ihr. Das Seelenhafte ist ein die Personalität überschreitendes Feld. In ihr sind „Himmel“ und „Erde“ vereint.
„Stille, du betrügst mich nicht.
Die Oberfläche hat mich oft genarrt.
Tief innen im Wesen sitzt die Wahrheit.
Wer sucht sie?
Wer findet sie?“
(Martin Gutl)
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In dem Online-Journal „Netzwerk Ethik Heute“ ist gerade ein Interview mit mir erschienen, das Geseko von Lüpke geführt hat: Wir sind als Zivilisation gescheitert
Falls Sie Interesse haben, ist hier der Link:
https://ethik-heute.org/wir-sind-als-zivilisation-gescheitert/