Die integrative Ehrfurcht vor dem Leben, das Bewusstsein von der universalen Einheit verschiedenster Seinsweisen und eine von allen Fesseln befreite kosmische Spiritualität erfordern unsere höchsten Möglichkeiten – Wissenschaft und Weisheitssuche an vorderster Stelle inbegriffen. Das dafür Notwendige ist bei Weitem nicht erkannt. Zu sehr sind die größten Teile der alten Wissenschaft verstrickt in die Mächte des Gegenwärtigen und ordnen sich diesen als Dienstleister unter. Das betrifft Forschung, Lehre und Ausbildung in vergleichbarem Maße.
Der Aufbruch zu einer kosmisch genannten Wissenschaft will nicht die im Detail und in der Summe teilweise außerordentlichen Leistungen der Geistesgeschichte klein reden oder gar negieren. Was im Übrigen auch gar nicht möglich wäre; durchziehen doch diese zu Weltbildern geformten Erkenntnisse und Anwendungsweisen nicht nur unser Denken, sondern auch das Empfinden und Handeln. Aber es wird wesentlich sein, das essentielle Wissen zu integrieren und damit das Fenster zu neuen Bewusstseinsdimensionen zu öffnen. Die abendländischen, östlichen und südlichen Weisheits- und Erkenntnisschulen sind integrationsfähig, wenn wir lernen, sie als Variationen des einen Ursprungsgeistes zu verstehen.
Eine kosmische Wissenschaft sucht, über Formen, Erscheinungen und Besonderheiten hinausgehend, nach dem Ursprung, dem Wesen und Ziel des Lebens, des Werdens und Wandels. Sie sieht dabei, dass der Prozess des Werdens und der Entwicklung nicht nur auf evolutionärer Entfaltung beruht, sondern etwas Wesentliches voranging und kontinuierlich hinzutritt: Schöpfungs- und Lebensenergie. Physikalische, chemische und biochemische Kraftfelder korrespondieren mit denen des Geistes und des Lebens; und diese Korrespondenz erst führt zu Sein und Entwicklung.
Taucht die Frage nach dem Ursprung und dem Wesen der Lebensenergie auf, erweisen sich Wissenschaft und Erkenntnisstreben immer auch als Gottsuche. Hier liegen die Übergänge zwischen Spiritualität und Wissenschaft und zeigen sich beide nicht als gegensätzlich, sondern zusammengehörig. Der Wissenschaft bleibt die Essenz von Wahrheit und Weisheit ohne Zugang zum Göttlichen verborgen; und eine Spiritualität, die ohne die Geisteskraft von Denken, Logik, Analyse und wissenschaftlicher Methodik auszukommen glaubt, wird Täuschungen und Projektionen erliegen.
Kosmische Wissenschaft bindet die großen und überzeitlichen ethischen Orientierungen in ihr Selbstverständnis und ihre Praxis ein. Das Streben nach Erkenntnis und Weisheit verschmilzt mit der Einsicht, dass der Weg dorthin den größten menschlichen Tugenden folgen muss. Die von Albert Schweitzer so sehr beschworenen Ehrfurcht vor dem Leben erweist sich dabei als außerordentliche Erkenntniskraft und nicht nur eine sentimentale Regung. Sie verkörpert jene Haltung, die als Voraussetzung dafür gesehen werden muss, sich dem Sinn von Sein und Werden, ja dem Sinn des universalen Geschehens anzunähern. Sie ist verbunden mit der Fähigkeit, bar jedes konventionellen Erkenntniszugriffs zu staunen und sich so fortwährend selbst zu nähren und zu erneuern. Hier findet sich auch die Gelassenheit hinsichtlich der Unmöglichkeit alles zu begreifen; die Gelassenheit somit auch gegenüber den letzten Geheimnissen des Universums.
Es erscheint mir selbstredend, dass zu diesem Weg kontemplative Schulung, kontemplative Übung und die Integration der Kontemplation in den Alltag gehören. Dem Geist des Unbekannten und des Neuen muss immer wieder der innere Raum bereitet werden. Die Gedankenuniversen bedürfen der stetigen Reinigung, der Auflösung von Verhärtungen und Verirrungen und der Befreiung schöpferischer Kreativität.
Kosmische Wissenschaft integriert. Erkenntniskräfte und Sehnsuchtskräfte, Ehrfurcht und Verstehen, Demut und Gestaltung, Diagnose und Heilung fließen in ihr zusammen. Sie bereichern sich in Aktion und Kontemplation. Es fallen Spaltungen zwischen objektiv und subjektiv, innen und außen. Die sinnliche Wahrnehmung stellt gleichbedeutend zum vernunftsgesteuerten Verstehen eine wertvolle Erkenntnisweise dar. Mit dem Herzen schauen und mit den Augen erfassen und vermessen – das sind in ihrer Zusammengehörigkeit Schritte zur Erfahrung des Verbundenseins.
Der Weg zu einer sich als kosmisch verstehenden Wissenschaft / Erkenntnissuche wird ein langer sein. Und es erfordert Klarheit und auch Mut, den Kräften und Mächten der Beharrung ein neues Weltbild gegenüberzustellen – gerade, wenn man Teil von ihnen ist. Aber es gibt Vorbilder…
„Die wunderbarste und tiefste Erregung, die wir erfahren können, ist die Empfindung des Mystischen. Sie ist die Grundlage aller wahren Wissenschaft. Wem diese Erregung fremd ist, wer nicht mehr staunen und in Ehrfurcht versunken stehen kann, ist so gut wie tot … Die kosmische religiöse Erfahrung ist der stärkste und edelste Ursprung wissenschaftlicher Forschung.“ (Albert Einstein)
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