Nationalsozialistische Barbarei, das Schlachten in Vietnam, die killing fields in Kambodscha, die Balkankriege, der Angriffskrieg gegen die Ukraine – und jetzt der widerwärtige Hamas-Terror mit der zwangsläufig folgenden Zerschlagung des Gaza durch das traumatisierte Israel. Es ist das mal von Hass, mal von Vergeltung, mal einer Mischung aus Beidem, aber immer von Schmerzen und Leid verzerrte Gesicht der alten Welt – jener Welt, die im Begriff steht, auf ihr Ende zuzusteuern und diesen Prozess gerade dramatisch beschleunigt.
Ein Volk, durch die Jahrtausende verfolgt, das nach dem schlimmsten Massenmord aller Zeiten eine Heimat in seinem Ursprung fand, steht erneut im Fokus von Hass, Verbrechen, Verteidigung und Gegengewalt. Was wir gerade erleben, birgt, mit den anderen Konfliktherden, das Potential eines Weltenbrandes in sich. Dies lässt sich ohne Neigung zur Dramatisierung feststellen. Auf dieser kleinen Fläche Erde im – von uns aus betrachtet – Nahen Osten, diesem unglaublich verdichteten Raum der Kultur- und Religionsgeschichte, bahnt sich so etwas an wie ein Show-Down der alten, aber die Gegenwart noch zutiefst prägenden Kräfte und Pole. Es spricht wenig dagegen, dass sich die Geschichte um Heimat und Boden zweier an sich doch Brudervölker anders weiterschreibt als mit fürchterlicher Gewalt. Es erinnert an den mythologischen Beginn der Menschheit: „Kain, wo ist Dein Bruder Abel?“
Ohnmächtig schauen wir zu. Und doch sind wir nicht ohne tiefgreifende Handlungsoptionen, wenn wir das Ganze und die Entwicklung auf der Erde im Blick behalten. Zunächst jedoch: Warum immer Gewalt? Und warum in dieser exzessiven und barbarischen Weise?
Für Gewalt zwischen Personen, Völkern und Kulturen mag es unzählige als angemessen empfundene Gründe geben. Aber sie führen nicht zu einem Recht auf Gewalt, die spontane Notwehr als Menschenrecht einmal ausgenommen. Gleichwohl kann dieses Sonderrecht als Individualrecht nicht eins zu eins auf Systeme und staatliche Akteure und deren langfristige Planungen übertragen werden. Was heißt das für jene Taten, die im Namen der Verhinderung schlimmeren Unrechts begangen werden und damit eine Art vorbeugende Notwehr repräsentieren?
Nun, sie setzen nicht nur den Gebrauch moralisch einwandfreier Mittel voraus, sofern es die in kriegerischen Situationen überhaupt gibt. Sie sollten sich auch auf die zukünftige Gewaltverhinderung und die Gewalteinschränkung beschränken. Denn es gibt keinen Anspruch auf Vergeltung. Gerechtigkeit und Rache sind unvereinbar. Rache, die als Gewalt um der Gewalt willen gesehen werden muss, führt immer zur Verstärkung von Unrechtssituationen. Und jede dieser Taten hinterlässt Spuren in der geistigen Welt, in den Bewusstseinsfeldern und den Landschaften der Erinnerung. Eines Tages liegt darin der erwachende Keim neuen Unrechts. So wie bei den jüdischen und palästinensischen Kindern, die im Moment als Opfer die Geschehnisse erleiden und erdulden müssen.
Ein Mann, serbischer Partisan unter Tito, wird 1945 von kroatischen Faschisten ermordet. Der Name: Mladic. Sein Sohn Ratko, Serbengeneral, nimmt ein halbes Jahrhundert später fürchterliche Rache an Kroaten. Dessen geliebte Tochter Ana erschießt sich 1994 im Alter von 24 Jahren mit einer Dienstpistole ihres Vaters, aus Scham angesichts der Taten des „Schlächters vom Balkan“.
Nahezu immer bringt Gewalt neue Gewalt hervor. Wir ernten, was wir säen, mag es auch Generationen dauern oder sich über Generationen erstrecken. Es geht hierbei nicht nur um die konkrete kriegerische oder terroristische Aktion. Es geht zuvorderst um die menschlichen Gedanken. Die äußere Gewalt kann als ein Echo des geistig Vorgedachten gesehen werden. Zugleich wirkt dann das Äußere wieder verstärkend auf den Menschen selbst zurück, bis er sich im Spiegel als von Hass zersetzt erkennen muss. Auch jedem gewalthaften „Frieden“ wohnt diese Dynamik hin zu neuer Gewalt inne, wenn er durch Leid und Opfer erzwungen wurde und damit die Frage nach Vergeltung, nach Schuld und Sühne schon wieder in sich trägt.
Gewalt, sagt man, gehört zum Menschen; und auch, dass der Mensch des anderen Menschen Wolf sei. Ja, solches lehrt die Geschichte immer wieder. Zugleich sprechen wir hier allerdings von einer niederen Evolutionsstufe. Und wieviel mehr als für einzelne Menschen gilt diese Feststellung für Religionen, in deren Namen noch immer Gewalt, auch die abscheulichste, propagiert wird. Beispielhaft und aktuell sei hier Ali Chamenei genannt, der politische und religiöse Führer des mehrheitlich islamisch-schiitischen Iran. Er spricht von Israel als einem Krebsgeschwür, das vollständig ausgemerzt werden muss, „so Gott es will“. Schlimmere Gotteslästerungen sind nicht vorstellbar. Und auch das Christentum kann in seiner Geschichte da ja auf manche Schrecken, die es zu verantworten hat, verweisen.
Wir, die das verfolgen und die schrecklichsten Bilder sich im Wohnzimmer und unserer Wahrnehmung ausbreiten lassen, fühlen uns ohnmächtig. Da ist tiefes Mitgefühl mit dem Volk Israel und daraus resultierende Solidarität. Und zugleich schauen wir in die panischen Augen aus Gaza fliehender palästinensischer Familien. Die sich „Hamas“ nennende Killer-Bande hat Krieg nicht nur mit Israel zu verantworten, sondern sie führt ihn auch gegen das eigene Volk.
Gewiss, konkret verändern können wir an diesem Verhängnis nichts, müssen hinnehmen und ertragen. Es lebt sich aus, was eine lange Geschichte hat, in der nie jene Wege gesucht und gefunden wurden, die zu einer herzenstiefen Versöhnung hätten führen können. Gerade deshalb aber gilt es über das aktuell sich Ereignende hinauszuschauen und in dieser Perspektive bei uns selbst und unseren Empfindungswelten zu beginnen.
Jeglicher wirkliche langfristige Wandel beginnt im Innern. Hier hat jede(r) die Macht und kann sich in die Lage versetzen, Zeichen für das Kommende zu geben. Der Boden für eine Zukunft in Frieden wird hier bereitet, beginnt im Innenraum, mit der Reinigung der Herzen von Hass und Gewaltfantasien und mit der Befreiung unserer unendlichen Potentiale an Liebe, liebenden Begegnungen und liebender Zuwendung. Nicht andere ändern zu wollen gibt die Richtung vor, sondern selbst das Neue und Erstrebenswerte und Heilende sein!
Jeder reine und von Hass und Vergeltungswünschen befreite Gedanke reichert das geistige Feld des Menschentums an. Wäre er nicht, er würde fehlen und so die Energien des Gewalthaften, Unerlösten und Verhängnisvollen stärken.
Auch der Bewusstseinsraum der Menschheit wird bestimmt von Fließgleichgewichten, deren Dynamiken sich, zumeist unbemerkt, verändern. Aber ähnlich dem, was die naturwissenschaftliche Chaostheorie für naturhafte Prozesse beschreibt, gilt auch hier: Ein Gedanke, bzw. Bewusstseinsfeld zur rechten Zeit, kann eine Kettenreaktion des Wandels, kann einen qualitativen Sprung hin zu einem neuen Aggregatzustand des Geistes und der Kultur bewirken, im Kleinen sowieso, und vielleicht ja irgendwann auch im Großen.
Es wurde schon so oft gesagt: Zum Frieden können wir nur friedvoll gehen – in Gedanken, Worten und Taten. Unermüdlich, durch alles Scheitern hindurch. Gerade auch, wenn doch wieder die Waffen sprechen, manchmal vielleicht sogar sprechen müssen, um noch Schlimmeres zu verhindern. Nur in der Friedenssehnsucht und der ungebrochenen Versöhnungsbereitschaft, frei von Rachegedanken, können wir den nach uns Kommenden ein Beispiel sein. Ich glaube, es geht nicht anders. Wen es mit Wutrede und Vereinfachungen zum gewalthaften Handeln drängt, dem mag dies zu billig sein. Aber es erfordert mehr Mut, Ausdauer und Geduld als alles andere. Der Kampf mit uns selber ist der Härteste. Und für ihn ist jeder selbst verantwortlich.
Israel und Palästina liegen einige Flugstunden entfernt. Doch ein friedvolles Morgen beginnt in diesem Moment auch hier…
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