Die Sagbarkeit des Geheimnisvollen

ClausAllgemein

Vielen Menschen bleibt ihr Leben lang die eigene Existenz und auch das Sein an sich ein Rätsel. Man nimmt das Äußere wahr, richtet sich in ihm ein, konstruiert sich seine Welt, setzt Koordinaten, die Sicherheit suggerieren. Dem Geist jedoch und dem unendlich Seelenhaften wird diese Puppenstube bald zu eng. Sie ziehen darüber hinaus in einen spürbaren, aber kognitiv unerkannten und damit unverstandenen Raum.

Seit Anbeginn der Zivilisation ringt die Menschheit mit den entsprechenden Fragen – und das querliegend zu allen Kulturen. Die Religionen entstehen, geistige Welten mit transzendenten Wesenheiten werden entworfen. „Gott“ als Hypothese, Antwort und Anker zugleich füllt den Raum der Sehnsucht. Erst mit dem Aufkommen der Industrialisierung und dem, was Moderne, später dann Postmoderne genannt wird, vollzieht sich ein Bruch. Wissen und Verwissenschaftlichung räumen gründlich und überfällig mit manchen Spekulationen und manchem Aberglauben auf. Sie verdrängen jedoch dabei auch das Unsagbare, Geheimnishafte, in der Wolke des Nichtwissens Verborgene zunehmend aus dem allgemeinen und öffentlichen Raum der Wahrnehmung. Anerkannt und „seriös“ kommunizierbar wird nur noch, was auf Evidenz und Nachweisbarkeit mittels der vorhandenen Methoden beruht. Zugleich erstarkt in der neuen Rationalität das Ich, und mit ihm wächst der Individualismus, durchaus auch in Fragen von Sein und Sinn.

Wir mussten in diesem Prozess lernen, dass Kapitalismus und Wachstumspolitik sich nichts besser dienbar machen, als eine auf Erfüllung wartende große Leere. Denn sie lässt sich mit Dingen, Waren und kaufbaren Plänen vollstopfen. Selbst die an sich unstillbare Sehnsucht geriet und gerät so immer wieder in diesen Sog des Säkularen und Banalen. Manchmal leiht man sich dabei aus den alten religiösen Traditionen dies oder jenes Wohlklingende oder wohlig Anzuschauende als Verpackungsmaterial aus. So verkauft es sich leichter und wird zugleich ein religiöses Urbedürfnis angefüttert, was aber lediglich zu neuer Nachfrage nach den Sinn-Placebos führt. Das soll es ja auch. Beim Läuten der Glocken klingen die Kassen halt noch schöner.

Doch Zweifel bleiben, ob das Numinose so auf Dauer in Schach gehalten werden kann. Spätestens in Zeiten existentieller Krisen – von der Person bis hin zum menschlichen Sein auf Erden an sich – wird es sich wieder melden; um Antworten ahnbar werden zu lassen, zu denen irgendwelche Dinge, die Ratgeber-Literatur des Boulevard und auch der nüchterne wissenschaftliche Blick nicht in der Lage sind.

Zieht es auch an dem Zeitgeist unbemerkt vorüber oder wird von ihm nachsichtig weggelächelt; und ist das auch nicht frei von einer gewissen Paradoxie: Das Unsagbare bedarf der Worte, damit es nicht aus dem kollektiven Bewusstseinsfeld verschwindet und allenfalls noch im personalen und kollektiven Unbewussten herumirrt und gelegentlich rumort. Es benötigt eine fortwährend neu zu erringende, wenn auch immer nur vorläufige „Sagbarkeit“. Sie will der Sehnsucht nach dem Transzendenten Stimme geben, die Existenz eines „Raumes“ spürbar machen, auch ohne dass er angeschaut werden kann. Sie möchte die inneren Sinne schärfen und den inneren Horizont für das Geistige öffnen, will Innenwege erkennbar und damit begehbar machen.

Das übrigens bleibt, bei allen Irrungen und Verfehlungen, als das große Vermächtnis der kirchlichen Lehren und ihrer Sakramentenpraxis. Sie haben das Geheimnisvolle und Überzeitliche über die Jahrtausende hinweg in Präsenz gehalten, genau wie die Erinnerung an das auf Zukünftiges verweisende Heilsgeschehen der Vergangenheit. Sie wurden so, neben aller weltlichen Beheimatung, die Statthalter eines unsichtbaren „Reiches“ inmitten der profanen Welt. Und stiften dabei ja nicht nur Wort und Sakrament, sondern auch die in Stein gehauenen sakralen Orte, das also, was zwar vorübergehend, doch immer wiederkehrend der Sehnsucht eine Heimat gibt. Mehr noch: Wäre die so unendliche Innenräume öffnende Musik, etwa eines Johann Sebastian Bach, ohne sie vorstellbar? Anders vielleicht, aber wohl nicht so, aus dem Geheimnis heraus und entsprechender Sehnsuchtsenergie getragen, in Noten und Klang übersetzt und komponiert.

Die Sagbarkeit des Geheimnisvollen im formelhaften heiligen Wort, im Sakrament, in der Musik, in bildender Kunst oder selbst einer Erzählung wählt als Zugang zur menschlichen Sehnsucht die Empfindung. Diese ist bei jedem Menschen anders, korrespondiert mit seiner einzigartigen Biografie und ruft entsprechend spezifische Bilder und innere Wahrnehmungen hervor. Bei aller Unterschiedlichkeit vergleichbar ist jedoch die aufsteigende Gewissheit hinsichtlich der Existenz des nicht Wissbaren. Sie bildet das Fundament für Vertrauen – in das Sein, in die alltäglichen Lebensvollzüge und das Weit-Darüberhinaus…

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