Spaltung

ClausAllgemein

Wenn Völker in Unruhe fallen, Sorge sich ausbreitet, Krisen ein Gefühl vermitteln, dass die Luft zum freien Atmen knapper wird … dann meint man, jetzt müsse doch die Sehnsucht nach Einheit und Verbundenheit anwachsen. Doch erschreckt stellst du das Gegenteil fest. Die Stühle werden nicht näher aneinander gerückt, sondern mehr und mehr von ihnen aus dem Raum getragen. Nicht die Suche nach dem, was verbindet und wie neue Verknüpfungen geschaffen und andere, in Vergessenheit geratene, wieder entdeckt werden könnten, bestimmt das mentale Klima. Stattdessen Abgrenzung, Verklärung des Eigensinns, Hassgedanken, unerbittliche Worte und emotionaler Kontrollverlust. Gesellschaft und kulturelles Empfinden zeigen sich nicht nur als gespalten; das ließe sich mit großer Anstrengung und Liebe noch überwinden. Ihnen fehlt der Identität stiftende Kern, der unhinterfragbare Nukleus namens WIR.

Steinzeitlich verwirrte Köpfe rufen nach einem Kalifat in Deutschland. Woke communities beschreien den Aufmerksamkeitsvorrang von kleinen Minderheiten. Sie errichten vokale Tribunale über alles, was ihnen westlich und von der übergroßen Mehrheit getragen, und damit rassistisch und neokolonial erscheint. Wiederum andere fordern ein von „Fremden“ freies Deutschland. Unerbittlich wird das aus sich selbst heraus Gegebene, also Selbstverständliche attackiert. Nahezu alles sieht sich in Frage gestellt, was für vielfältige Kultur in einem erhabenen und anspruchsvollen Sinne steht – zeichnen doch, wie man aus bestimmten Kreisen herablassend hört, überwiegend alte, weiße Männer dafür verantwortlich.

Gewiss fällt manches Missgeschick und manches Unrecht und Unheil auf diesen Personenkreis zurück. Aber vor allem gab und gibt es so überaus viele von Ihnen, denen wir durch die Jahrhunderte hindurch unser kulturelles und humanistisches Fundament verdanken. Platon, den Begründer der Philosophie; Kant, der das edle Gesetz des ethischen Handelns ins Wort brachte; Schopenhauer, der die Mitleidsethik kultivierte; Mill, der Apostel der Freiheit, der Freiheitsrechte und der Gleichstellung von Frauen; Marx, der große Geist für Gerechtigkeit und Emanzipation; Schweitzer, der Prophet einer Ethik, die alles Leben umfasst; Beethoven, der ein ästhetisches Universum als Klang erschuf; Picasso, der dem Grauen, der Liebe und dem Frieden eine zeichnerische Gestalt zu geben vermochte. Das sind nur wenige ausgewählte Beispiele. Doch sie haben Weltenräume geschaffen und zugänglich gemacht. Sie waren nicht nur weiß, sondern zumeist auch weise. Sie hatten etwas mit Bildung zu tun und dem, was sich Kultur zu nennen berechtigt ist. Sie haben das mit geschaffen, was überhaupt erst jene Freiheit und entsprechende Spielräume für diejenigen eröffnet hat, die sich von nahezu allem schroff abgrenzen und es entsprechend unerbittlich kommunizieren.

Universitäten werden besetzt, um auf das Leiden der palästinensischen Bevölkerung durch eine völkerrechtswidrige Kriegsführung Israels hinzuweisen. Das wäre ohne wenn und aber nachvollziehbar und auch auszuhalten, würden daraus nicht Hassveranstaltungen, bei denen letztlich das durch Israel repräsentierte Judentum und dessen Existenzrecht im Zentrum steht. Gleichzeitig schimmert hier neben Antisemitismus zugleich der Hass auf alles Westliche ausgerechnet seitens derer durch, die davon profitieren, hier zu leben.

Es begegnet uns in jenen Formen ideologischer, nur zu oft aber auch islamisch/islamistischer Verbohrtheit eine Verhöhnung diskursiver, demokratischer Standards – von global respektierten akademischen Gepflogenheiten soll gar nicht gesprochen werden. Diese intellektuelle Plattheit duldet keinen Widerspruch, gibt vor Pluralität zu schützen, indem sie diese gefährdet. Und all das wissentlich und willentlich. Solches ist nicht nur verlogen, es ist voraufklärerisch. In der Wucht, in der es sich ereignet, zeigt sich ungeschminkt ein faschistoides Denken und Verhalten, das sich als emanzipativ und gerechtigkeitsorientiert maskiert.

Im Herzen unserer über Jahrhunderte und durch zahlreiche dunkle geschichtliche Phasen hindurch errungenen, erlittenen und erkämpften demokratischen Verfasstheit und kulturellen Rückbindung lässt sich so eine Art Hass auch auf sich selbst beobachten. Grundsätzlich wird verworfen, was ohne jede Frage markante Schwächen hat, aber auch von zivilisatorisch und kulturell herausragender Bedeutung ist.

Dieser für liebende Vernunft und aufgeklärtes, verständnisvolles Denken und Empfinden unempfängliche, dekadente Geist ist Gift. Er lässt konstruktiven Beigeschmack und jegliche Ausformungen von Empathie vermissen. Er wird nicht nur von jenen modernen Jakobinern genährt, die in ihrem sogenannten Antirassismus alles diskreditieren, was Klarheit und gewachsene Identität verkörpert. Er vermischt sich auch mit einer expandierenden, vornehmlich im politischen Islam beheimateten Verachtung allem Westlichen und allem Jüdischem gegenüber.
Demokratisches, deliberatives, also auf Überzeugung vertrauendes politisches Verhalten, das solches toleriert, verleugnet und untergräbt sein eigenes Fundament. Es schwächt den notwendigen Widerspruchsgeist und entsprechendes klares Handeln.

75 Jahre nach Inkrafttreten unserer wegweisenden Verfassung existiert kein WIR, das diesen Namen verdient. Einzelinteressen beherrschen die Bühne. Auf ihr stehen unzählige Protagonisten, die jeweils ihre eigenen Rollen nach eigenem Drehbuch spielen – mit dem Ansinnen, sie um nahezu jeden Preis umzusetzen bzw. zu verteidigen. Selten richtet sich dabei der Blick auf das gesamte Drama und die Vielfalt der Bedürfnisse und Interessen. Auch noch so pathetisch vorgetragene Sonntagsreden der sogenannten politischen Elite vermögen das nicht mehr zu kaschieren.

Bleibt da etwas für mich?

Zu leben bleibt
Zu lieben bleibt


Trotz allem

Bewusst als Leben inmitten von anderem Leben

In der Zusage, auch dieses leben zu lassen
Es Sein, Da-Sein zu lassen
Seine Möglichkeiten und Grenzen respektierend
Ihm aber Grenzen setzend
Wo es anderes Leben verachtet und schädigt

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