Mit dem Erwachen der Sehnsucht, die sich auf das Größere richtet, auf den Ursprung, das Absolute hin; mit dem Entstehen der Hoffnung, die alles Unperfekte, Leidende und Beschädigte durch jenes Unbegreifliche als heilbar erkennen möchte; mit dem aufsteigenden Bedürfnis nach tieferer Heimat und bedingungslosem Angenommensein kam das Gebet in die Welt. Als sich in Worten, Gesten, Gebärden, Ritualen oder sich ausrichtender Stille zeigend, lebt es als kulturübergreifende Wesenheit des Menschen.
Aus der Ohnmacht heraus beschwört es die Allmacht, in der Angst das Rettende, in der Verzweiflung das Tragende, in der Leere die göttliche Fülle. Das Gebet kommt zwar aus dem Menschen, doch in der Genese ist es Antwort auf die Berührung der Seele aus dem Raum des Unsagbaren – Himmel, Gott oder Transzendenz genannt. Diese Antwort baut Beziehung auf und hält diese in der Wiederholung.
Man kann den Erfolg des Gebetes nicht messen, ja schon das Wort „Erfolg“ widerspricht seinem Sinn, der alle Zweckhaftigkeit, alles „um zu“ übersteigt. Oder sagen wir besser: Das Gebet ist kein Handel, kein Wunschkonzert; es liegt jenseits jener Zweckhaftigkeit, in der Haben und Behalten im Vordergrund stehen. Das schließt selbstredend Bitten nicht aus – wenn sie aus Liebe und Fürsorge geboren sind. Das schließt die Hoffnung auf ein Wunder nicht aus, doch wird dieses sich anders ereignen als im Modus von Reiz und Reaktion. Recht verstanden führt der Weg des Gebets als Lebensweg zu dem Wunder der Verwandlung des betenden Menschen.
Wie das?
Und was meint das?
Im Innenraum des Menschen und nicht auf dem Marktplatz lebt das Gebet. Im Seelengrund und der Bewegung des Herzens wächst die Brücke hin zu einem Gegenüber, das in unserer Vorstellung nicht als Gestalt vorstellbar und nicht greifbar ist. Allenfalls als formloser Resonanzraum kann es deshalb gedacht werden. Er verbindet sich mit der Empfindung und der Gewissheit, keiner Illusion zu erliegen. Und jede Ansprache, oder besser Anrufung, und jedes gerichtete innere Schweigen dient der eigenen Vergewisserung, nicht aber dem Versuch einer Beschreibung.
Das Gebet, das nicht haben will, hat viel Selbstbezug hinter sich gelassen, ohne über das Selbst hinweg zu sehen. Denn wir ahnen doch, was alles Verborgenes in uns lebt; Ungutes, Unerlöstes und solches, das immer wieder Anlass gibt zu Irritationen; Dinge, die bedrücken, die uns lähmen, verstummen lassen; unaussprechbar scheinende Sehnsüchte.
Und wir ahnen, dass all dies aufzulösen und zu heilen ist durch die Symbiose von Offenheit und selbstloser Hingabe im göttlichen Raum. Dabei gilt, nicht auf Ergebnisse zu warten; das Unerwartete hinzunehmen und immer, trotz Allem, sich weiter im Gebet, im Leben als Gebet zu halten; so der Beziehung treu zu bleiben, ja vielleicht erstmals wirklich Treue zu lernen. Das ist eine gewaltige Herausforderung, gerade dann, wenn wir lernen müssen anzuerkennen, dass das, worauf wir uns richten zugleich das sich uns Entziehende zu sein scheint.
Der Betende hat Ja dazu gesagt, sich lieben zu lassen und so das Leben neu zu spüren. Dieses Spüren wandelt, es flicht den Menschen ein in die Einheit von Diesseits und Jenseits als Pilgerschaft durch Zeit und Zeitlosigkeit. So relativiert sich sein hierseitiges Leben als das vor dem Tode liegende. So zeigt er sich bereit, das Werden im Sein zu seinem Recht zu führen.
Der Betende weicht nichts aus, und so haben in ihm Dankesjubel und Daseinsfreude genauso Platz wie tiefste Verzweiflung und empfundene Aussichtslosigkeit. Doch in genau dieser entlastet es das unerträglich beschwerte Herz. Im Gebet kann der Mensch Jenes, was er nicht alleine zu tragen vermag, übergeben, es hinüberreichen in den transzendenten Raum, indem er es ausspricht, erwartungsfrei darbietet. Es ist Trost und der Beginn der Heilung, wenn ein „jenseitiges“ DU mit „im Spiel“ ist.
Wie oft bewegen wir uns gelöst von allem, stehen gleichsam wie ein Solitär in der Welt, was unserem Wesen und unserer Berufung zutiefst widerspricht. Im Gebet bindet sich der Mensch, wird sich seiner Rückbindung bewusst. Durch die Zurücknahme des Egos fügt er sich wieder ein.
Wir sollten schließlich nicht gering schätzen, dass das Gebet uns in die Tradition mit der Geschichte, mit unseren Ahnen stellt. Diese Lebenslinie geht durch die Todeskette hindurch. Wir lassen das Vorherige, das doch bloß als Äußeres Gegangene, nicht im Stich, sondern reihen die eigene Lebensperle ein in die zeitlose Schnur von Werden, Vergehen und neuem Werden. Dieses verbindet sich mit der Hoffnung, dass vielleicht auch die nach uns Kommenden die Schnur weiter halten. Gebet nimmt so die Zeiten überschreitende Verantwortung des Menschen wahr. Manch alte Gebetsformel, wie bspw. das Vaterunser, stützen diese Verantwortung.
Wenn gesagt wird, dass nun nur noch beten helfe, so sollte man dies also nicht mit einem nachsichtigen Lächeln mindern. Das rechte Gebet ist immer mehr als wir zu wissen meinen. Vor allem aber, um mit Sören Kierkegaard zu sprechen, besteht seine Bedeutung nicht darin, „Gott zu beeinflussen, sondern die Natur des Betenden zu verändern.“ So mag es als die Einübung in den neuen Menschen gesehen werden.
Zum Anhören klicken Sie bitte hier
Wenn Sie meinen Blog abonnieren möchten, klicken Sie bitte hier