Elementare Befindlichkeit

ClausAllgemein

Elementare Befindlichkeit

Wenn du endlich versuchst, deinen unheilvollen Egoismus hinter dir zu lassen, begegnest du der Liebe neu. Sie ermutigt, den Ich-Panzer abzustreifen. Sie möchte uns stattdessen den Reichtum zeigen, der im Gefühl wahrhafter Verbundenheit wartet.

Liebe will finden, will verschmelzen. Das betrifft sowohl die zwischen zwei Menschen als auch die, die sich auf das Leben schlechthin richtet. Sie sagt Ja. In der Liebe tritt das große und universale Gesetz der Resonanz ins Leben. Denn das bewusste Leben findet sich nur durch Begegnung. Liebe führt zusammen. Sie rettet uns. Es ist ihr Licht, das in die letzten Abgründe des Scheiterns und der Ohnmacht leuchtet. In ihr darfst du dich zeigen wie du bist, deine Schwachheit inbegriffen. So können wir sie als die wahre Fülle unserer Existenz betrachten.
Liebe ist kein bloßer Denkvorgang, keine reine Sache des Kopfes; sie ist elementare Befindlichkeit. So berührt sie die Seele und legt unbekannte Kräfte frei. Zugleich hält sie uns verwundbar. In der Liebe leben heißt, sich verletzbar zu halten. Vielleicht können deshalb so wenige Menschen wirklich lieben. Denn sie geht nicht ohne die Bereitschaft zur Hingabe, die sie aus allen anderen Eigenschaften und Regungen des Menschen hervorhebt. Sie gibt, weil sie geben will, weil sie das andere Leben unbedingt achtet, es nimmt, wie es ist. Wer aus der Tiefe seines Herzens liebt, befreit sich aus der Enge des Ich.
Das Ideal der Liebe kann von dem Ideal der Selbstvergessenheit und der Selbsthingabe somit nicht getrennt werden. Aber es gilt eben auch, dass wahrhaftige und unbedingte Liebe zum Du zunächst der Annahme der eigenen Existenz, des Selbst, bedarf. Radikalisiert besteht dieser Zusammenhang für all jene Begegnungen, in denen ein Ich ein Du als seine „Zwillingsseele“ erkannt hat, nach der wir manchmal ein Leben lang und über so manche Zwischenstationen suchen.
Liebe fragt nicht nach Gegenleistung, sie fordert nicht und erstickt sich nicht in Erwartungen. Sie versagt sich jede Form von Kontrolle des Du. Eifersucht ist ihr unendlich fremd. Sie bewahrt den Liebenden ihre Autonomie. Sie will also nicht haben und nicht brauchen. Das unterscheidet sie von der Sucht danach, anderes Leben ganz auf sich zu beziehen oder es gar besitzen zu wollen und damit doch lediglich für seine eigenen Bedürfnisse zu gebrauchen – oder besser – zu missbrauchen. Die nicht vereinnahmende Liebe sieht mit den Augen des Herzens. Das ist es, was sie aus dem Nichts der unentrinnbaren Vergänglichkeit holt. Mit dem Anspruch des Unvergänglichen, mit der Gewissheit des Über-den-Tod-Hinaus, die aus der Erfahrung der Verbundenheit, ja des Einsseins erwuchs, stellt sie sich dem Vergehenden entgegen. So führt die Liebe auf ihre Weise an ewige Wahrheiten heran.

Liebe, das meint hier das Ineinandergehen von Philia, Eros und Agape. Die Grundsubstanz dieser Liebe ist eigentlich immer da, sie durchströmt als schöpferische Energie die geistigen Felder unseres Planeten. Albert Schweitzer bezeichnete sie als den geistigen Lichtstrahl, „der aus der Unendlichkeit zu uns gelangt.“ Das Leben an sich strebt zu dieser Liebe als letztem Wort. Das müssen wir lernen zu verstehen, auch wenn wir in der wachsenden Beziehung von Ich und Du die höchste Erfüllung erfahren. So dient die Liebe zwischen den Geschlechtern, wenn wir sie in ihrer Tiefe verstehen, der Liebe zum Leben an sich. Ohne diese werden wir in der Spaltung mit dem Leben bleiben. Ohne sie haben wir keine wirkliche Chance….