„Der glaubt ja noch an Gott…“

ClausAllgemein

Es ist Jahre her, dass ich mit einem Menschen beisammen saß, der zu den Mystikern unserer Zeit zählte. In dem Gespräch sagte er über einen befreundeten Mönch: „Der glaubt ja noch an Gott…“
Lange habe ich in der Folge über diesen Satz nachgedacht, in ihn hineingefühlt und in die Resonanz, die er in mir auslöst. An Gott glauben…

Viele mystisch orientierte Menschen sprechen von der Leere, dem Nichts, der Verlassenheit in einem unendlichen Universum, dem gähnend leeren Schlund, den uns ja auch eine rational kastrierte Wissenschaft zumuten möchte – wenn auch mit ganz anderen Begründungen als jenen, die aus einer tiefen mystischen Erfahrung sprechen. Mir kommt dann der Text „Siebenkäs“ von Jean Paul in den Sinn. Darin hat der Protagonist einen Traum, in dem Christus erkennen muss, dass da kein Gott sei.

»Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den
Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schauete in den Abgrund und rief: ‚Vater, wo bist du?‘ aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert, und der schimmernde Regenbogen aus Wesen stand ohne eine Sonne, die ihn schuf, über dem Abgrunde und tropfte hinunter. Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäuete sich.“


Siebenkäs erwacht aus diesem Traum und erkennt ihn als solchen.

„Meine Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten konnte – und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet. Und als ich aufstand, glimmte die Sonne tief hinter den vollen purpurnen Kornähren und warf friedlich den Widerschein ihres Abendrotes dem kleinen Monde zu, der ohne eine Aurora im Morgen aufstieg; und zwischen dem Himmel und der Erde streckte eine frohe vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und lebte, wie ich…“

Schon lange spreche ich nicht mehr von Gott in personalem Kontext. Aber „das Göttliche“ ist geblieben, auch als das Aussprechbare. Es ist unbestimmbar, aber doch empfindbar; es ist undenkbar, aber doch präsent, wenn Resonanzfähigkeit im kontemplativen Raum hergestellt ist, oder in der Natur, oder inmitten des Lebens…

Bei aller Erfahrung der dunklen Nacht, bei aller Empfindung innerer Verlassenheit, scheint es absolut unverzichtbar, den „geistigen“ Raum und die „geistigen“ Welten in den Versuchen unserer Wahrnehmung zu halten; so, wie die Liebe, die ja nicht aus Nichts entsteht, sondern als Energie lebt, die, wie Albert Schweitzer einmal sagte, uns als „Lichtstrahl aus der Unendlichkeit“ erreicht. Vielleicht ist es angemessen, diese „Unendlichkeit“ weiterhin als göttliche Welt oder kosmische Liebes- und Entwicklungsenergie zu bezeichnen. Eine Liebe, die trägt, aus der alles kommt und in die alles zurückkehrt, weil alles in ihr geborgen ist. Leben endet nicht im Nichts.

Mit der aus dem Raum des Absoluten stammenden Liebeskraft steht der Mensch in Resonanz. Und wie bei jedem Resonanzphänomen ist dieses keine Einbahnstraße. Die menschliche innere Haltung, seine Ausrichtung und sein Tun wirken in dieses Feld hinein. „Auch Gott ist ein Werdender“, sagte der deutsche Philosoph Max Scheler (1874 – 1928) einmal dazu. Und schließlich: Wenn es stimmt, dass sich im Geist des Menschentums und in seinen Erkenntniswegen das Universum gespiegelt sieht, wir gleichsam ein Bewusstseinsfeld des Universums mit kreieren, dann relativiert sich der Satz von einem unbedeutenden Planeten am Rande eines unermesslichen Weltalls. Einmal davon abgesehen, dass das Weltall weder Zentrum noch Rand hat. Es ist nondual, multizentrisch, alokal. Anders ausgedrückt: Das „Zentrum“ ist immer da, wo sich gerade die Wahrnehmung befindet.

Dem Göttlichen im Bewusstsein und in der Zuwendung Raum zu geben, heißt auch, sich selber Raum zu geben als dem Wahrnehmenden. Es erscheint die Formulierung nicht als Hybris, dass die Menschheit die Gottheit immer wieder mit erschafft, selbst wenn sie meint, sie verwerfen zu können. Das ist in erster Linie eine gewaltige geistige Herausforderung. Denn „Gott ist Geist“, wie Jesus sagt. Im „Geist und in der Wahrheit“ entscheidet sich alles bzw. bereitet sich vor.

Gerade die nun kommende österliche Zeit verbindet sich mit der Gottesfrage auf besondere Weise. Das Leiden rückt zunächst stärker in den Fokus, bevor es von der Auferstehungs-Zusage überstrahlt wird. Aber was kann das meinen, wenn die geistige Wesenheit Ernst genommen wird?

Auferstehung von dieser Grundannahme betrachtet, ist ein Prozess, kein punktuelles Ereignis. Sie spricht von einer Bewegung im Feld des Absoluten – davon, sich tragen zu lassen und zugleich dieses Feld zu halten.
Jeder Gedanke aus Liebe und Zuwendung veredelt diesen Prozess, genau wie jede zarte und achtsame Geste, vorgenommen in innerer Klarheit; ohne zu wissen und trotzdem in ausgerichtetem Vertrauen…

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